Predigten

Gründonnerstag 2014 – 1 Kor 11, 23 – 26; Joh 13, 1-15

Liebe Schwestern und Brüder!

Es gibt in unserem Leben Situationen, Augenblicke oder gar Stunden, die können wir nicht machen, die werden uns geschenkt. Stunden, in denen sich das Leben verdichtet und wir hineingewoben werden in das Leben derer, die uns etwas bedeuten, denen wir von Herzen verbunden sind. Vielleicht haben wir das auch schon alle auf irgendeine Weise erlebt: Da sagen zwei Menschen JA zuein-ander: JA, ich liebe dich, ja, ich will mit dir das Leben gestalten, mit dir durch Dick und Dünn gehen, in guten und in bösen Tagen, in Gesundheit und Krank-heit. Und wie sie es sprechen, wie ihre Gesten und Zeichen dieses JA unter-streichen, so lassen sie uns teilhaben am Geheimnis ihrer Liebe, rühren sie unsere Herzen an und geben uns Anteil an der Sternstunde ihres Lebens.

Aber nicht nur das freudige Ereignis vermag eine solche Dichte hervorzubrin-gen. Auch der Abschied von einem Menschen, das nahe Ende eines Lebens nimmt uns mit hinein in das Geheimnis der Person. Und wenn wir diesem Menschen nahe standen, wenn wir ihn geliebt haben und gerne mit ihm zusam-men waren, dann bekommen seine letzten Worte, dann bekommen seine letzten Gesten eine tiefe Bedeutung. Sie gleichen einem Vermächtnis, das wir wie einen kostbaren Schatz im Herzen tragen; einen Schatz, an den wir immer wieder denken und der uns den geliebten Menschen vor Augen führt. Auch in dieser Stunde des Abschiednehmens verdichtet sich das Leben und es berührt uns zuinnerst.

So ist es wohl auch heute Abend. Wir sind zusammengekommen und feiern jetzt miteinander die Messe vom letzten Abendmahl. Unser Herz ist ganz auf Jesus gerichtet, auf den Herrn, der mit seinen Jüngern das Paschamahl hält. Dabei erinnert uns die Heilige Schrift an das, was damals geschehen ist.

„Die Erinnerung daran wird bewahrt, Worte und Handlungen, Gesten werden festgehalten, prägen sich dem Gedächtnis ein“ (F. Kamphaus): „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“

Das legt uns die Lesung aus dem 1 Korintherbrief ans Herz und Paulus erinnert uns an diesem Abend, erinnert uns daran, was Jesus damals getan hat: > Er nahm das Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte: Das ist mein Leib für euch!<

Brot wird gebrochen, Brot wird geteilt und verteilt. Das ist aber nur möglich, weil das Weizenkorn in die Erde gefallen und gestorben ist und weil das Korn gemahlen und zerrieben wurde, so dass aus dem Mehl Brot werden konnte. Jesus bricht das Brot, teilt es und verteilt es und er sagt: Das ist mein Leib für euch! So bin ich! So bin ich für euch: Euer Lebensbrot. Und so verbindet er uns mit sich und untereinander – stiftet Gemeinschaft – Communio – Kommunion.

Jesus geht seinen Weg – hinein in die dunkle Nacht – und er kommt zwischen die Mühlsteine der Menschen, wird zerrieben, gebrochen – wird Brot des Lebens.

Und er fährt fort: „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!“ Den Kelch des Heils gibt es, weil die Traube gekeltert und gepresst wurde. Und in den irdischen Zeichen von Brot und Wein bindet sich Jesus an uns. Und diese Bindung bleibt, sie bleibt auch in seinem Tod gültig und sie bleibt gültig bis er wiederkommt. Das, meine lieben Schwestern und Brüder, schafft Zuversicht, ja, das schafft Hoffnung und es wird im Sakrament von Brot und Wein, im Zeichen seiner Gegenwart deut-lich: „Wir können aus der Welt heraussterben, aber nicht aus der Gemeinschaft mit ihm.“ (F. Kamphaus)

Das, meine Lieben, darf uns dankbar stimmen, darf uns froh machen und nicht zuletzt offen für den Herrn. Zu ihm dürfen wir kommen mit unserem ganzen Leben. Auch mit dem, was in uns gebrochen und zerbrochen ist. Mit der ganzen Mühsal unseres Lebens und mit der Not, die wir im Herzen tragen. Er weiß um das Gebrochensein und um unsere Zerbrechlichkeit. Und in bin überzeugt:

So wie der Herr in die Nacht des Gründonnerstags gegangen ist, so geht er auch in das Dunkel unserer Nacht – ohne Distanz, ohne Abstand. Nein, meine lieben Schwestern und Brüder: Der Herr hält uns aus – Dich und auch mich!

Und wenn wir heute miteinander Eucharistie feiern, dann ist diese Feier nicht nur ein Mahl der Seligen, sondern auch der Angefochtenen: damals wie heute.

Aber genau vor diesen Menschen geht Jesus in die Knie, bückt sich, nimmt die Füße in die Hand und reinigt sie. Er ist hautnah in Berührung, scheut nicht die Begegnung – auch nicht den Schmutz und die Wunden.

Erahnen wir, liebe Schwestern und Brüder, was Jesus hier tut? Erahnen wir, was er uns in diesem Zeichen sagen will?

Auch hier verdichtet sich das Leben, und zwar auf göttliche Weise, weil Gott selbst sich zum Diener macht. Wenn wir es nur tief in unser Herz fallen lassen, was hier geschieht.

Er ist wahrhaft ein Diener und daran wird sich Kirche zukünftig messen lassen müssen. Und in ihr der Papst, die Bischöfe, die Priester und Diakone und jede und jeder einzelne von uns.

Begreift ihr, was ich an euch getan habe?

Liebe Schwestern und Brüder, öffnen wir unsere Herzen für das Wirken des Herrn. Gehen wir hinein in den Abendmahlssaal, in die Nacht des Verrates, auf den Ölberg, in die Stunden der Einsamkeit. Bleiben wir in diesen Tagen ganz in seiner Nähe, gehen wir den Weg mit unserem Herrn Jesus Christus, der uns heute Abend und immer wieder das „Brot des Lebens bricht und den Kelch des Heiles“ reicht.  Amen.

Liebe Schwestern und Brüder,
„gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen“ – so sagt es der Volksmund und er bringt damit zum Ausdruck: Du, Mensch, bist sterblich, vergänglich, endlich. Ja, wir alle miteinander – wir sind sterbliche Wesen. Das ist eine Tatsache, die wir nicht wegretuschieren können, das ist eine Wirklichkeit, auf die wir alle zuge-hen. Sie gehört zu uns wie das Amen in die Kirche. Trotz Fortschritt und Medi-zin und Technik – wir sind endlich, wir können vielleicht das Leben etwas ver-längern, aber dem Tod können wir nicht entrinnen. Darum müssen wir uns eingestehen, dass gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist.
Das haben auch die Jünger am Karfreitag erfahren, als ihr Herr und Meister qualvoll am Kreuz sein Leben aushauchte. Und welche Hoffnungen hatte er in ihnen geweckt! Was hatten sie alles mit ihm erlebt und erfahren. Wie vielen Menschen hatte er geholfen, hatte sie geheilt, gesättigt und ihnen ein gutes Wort mit auf den Weg gegeben! – Ihre ganze Hoffnung, ihr ganzer Lebensinhalt ist am Karfreitag gekreuzigt worden.
Diese ganze Enttäuschung und Traurigkeit spiegelt sich im ersten Satz des Evangeliums. Die Frauen sind auf dem Weg zum Grab. Sie haben wohlrie-chende Salben zubereitet. Damit wollen sie den Leichnam balsamieren. Wenn schon alle Hoffnung zerschlagen worden ist, so soll die Geschichte mit Jesus von Nazareth doch wenigstens einen würdigen Abschluss finden.
Wir spüren nur zu deutlich: Ostern ist in den Herzen der Frauen noch nicht aufgeleuchtet. Und selbst die Entdeckung des leeren Grabes, die Begegnung mit den zwei Männern in leuchtenden Gewändern lässt noch kein Halleluja erschallen. Ganz im Gegenteil. Als sie daheim erzählen, was sie am Grab erlebt haben, da halten die Apostel alles für Geschwätz und glauben nicht. Tot ist tot – und gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen. Das ist eine handfeste Tatsache. Und selbst Petrus ist nach Besichtigung des leeren Grabes nur verwundert.
Erst die Begegnungen mit dem Auferstandenen Herrn bringen den Wendepunkt im Leben der Frauen und der Apostel. Erst in der Begegnung mit dem Aufer-standenen erkennen sie, wozu Gott fähig ist, dass er einen neuen Lebenshorizont erschließt, der nicht von Menschen gemacht ist. Und wir müssen uns demütig eingestehen: Dieses von Gott geschenkte Leben - das liegt außerhalb unseres Machtbereiches, außerhalb des von uns Produzierbaren, außerhalb des von uns Finanzierbaren. Wenn es um Leben und Tod geht, wenn es um Tod und Leben geht – da sitzt ein anderer am Hebel.
Im Evangelium haben wir es ja gehört: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden.“
Das, liebe Schwestern und Brüder, ist das Fundament der Osterbotschaft und des Osterglaubens. Jesus ist auferweckt durch Gott!
Und genau das ist der Auftrag der Kirche und damit auch unserer Auftrag, diese Botschaft des Lebens zu den Menschen zu tragen und durch unser Leben zu be-zeugen. Der Römerbrief hat es uns gesagt: „Wir wurden mit ihm begraben durch die Taufe auf den Tod: und wie Christus durch die Herrlichkeit des Vaters von den Toten auferweckt wurde, so sollen auch wir als neue Menschen leben.“
Gestatten sie mir eine Frage: Strahlen wir, die wir getauft sind, die wir jetzt Ostern feiern – strahlen wir die Freude dieser Botschaft aus? Spüren die Menschen, die uns begegnen, dass Christus in unseren Herzen lebt, dass er der Grund unserer Hoffnung ist, dass sein Licht in uns leuchtet? - Das geht nur, wenn wir uns immer wieder auf den Weg machen und den Auferstandenen suchen, wenn wir mit dem Auferstandenen in Berührung sind und mit seiner Botschaft. Dann sind wir an der Quelle, aus der wir trinken können.  
Liebe Schwestern und Brüder, unser neuer Papst Franziskus wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass wir als Kirche uns öffnen und zu den Menschen gehen. Wir alle miteinander haben den Auftrag, das Licht des Auferstandenen weiter-zugeben; hineinzustrahlen in unsere Welt, die Ostern braucht, denn in unserer Welt greift der Tod immer wieder um sich.
Zu viele Seelen krank werden und sterben ab; zu viele suchen rein innerweltlich ihr Heil und werden nicht satt dabei. Sie suchen in so vielen Ablenkungen ihr Glück und spüren doch immer wieder, wie schal alles wird, wie geschmacklos, wie zerbrechlich und wie vergänglich alles ist.
Das Herz des Menschen verlangt nach mehr – letztlich sehnt es sich nach Ewig-keit. „Die Welt ist eine Nummer zu klein geraten, um die unendliche Sehnsucht eines Menschen stillen zu können“ (Kurt Tucholsky).
Das kann nur Gott, und zu Ostern hat er die Wende herbeigeführt. Auch wenn wir leiblich zerfallen – wir sind aufgehoben in IHM.
Dieser Osterglaube, meine lieben Schwestern und Brüder, dieser Osterglaube schenkt Freude, schenkt Hoffnung und setzt Energien frei, die Liebe Gottes zu uns Menschen in dieser Welt zu bezeugen. Dazu braucht uns Gott. Und wir brauchen Gott, damit unser Leben blühen und leuchten kann. Darum wünsche ich uns allen, dass Wirklichkeit werde, was wir immer wieder besingen: „Die Freude an Gott, Halleluja, ist unsere Kraft, Halleluja.“ Amen.

„Sieh, Erd und Himmel, was die Welt/ heut für ein blutig Schauspiel hält, /welch Tyrannei zu sehen. /O Jesus, welche Schmerzen,/ o felsenharte Herzen! –/ desgleichen nie geschehen.“

Liebe Schwestern und Brüder,
mit diesen Worten beginnt ein altes Passionslied aus dem 17. Jahrhundert und es fasst die ganze Tragödie des Karfreitags ins Wort. Ja, es war ein blutiges Schau-spiel, was sich in Jerusalem ereignete. Es war so blutig und brutal, dass es uns heute noch erschaudern lässt, wenn wir uns dieses Geschehen vor Augen halten oder davon hören.
Der Herr hängt am Kreuz: blutig, geschunden und zerfetzt durch die Geißel-hiebe, verletzt durch den schweren Kreuzesbalken, wund und aufgeschlagen vom Fallen und in der Seele gedemütigt durch die sensationsgierige Menge. Sie stehen am Rand der Strasse und gaffen, weiden sich an seinem Schicksal und kosten es aus, einen Menschen leiden zu sehen. Alle Scham haben sie verloren, nichts Edles geht von diesen Menschen aus. Sie stehen im Epizentrum der Zerstörung und der Blutrausch lähmt alles menschliche Fühlen und Empfinden. Jegliches Gespür der Ehrfurcht und des Respekts vor dem Menschen, vor dem Heiligen im Menschen – das ist im entfesselten Zerstörungswillen der Masse verloren gegangen. Und es bestätigt sich das Sprichwort: Wenn einer fällt, fallen alle über ihn her.
O Jesu, welche Schmerzen, o felsenharte Herzen. Der Herr hat es erfahren – am eigenen Leib und in seiner Seele.
Wie traurig und wie tragisch – damals! Wie traurig und wie tragisch – heute!
Denn auch heute leidet Christus in denen, deren Leiber durch Bomben zerfetzt werden; die durch Minen versehrt werden und ein Leben als Krüppel führen;

die bis ins Mark verängstigt und traumatisiert sind durch die unsäglichen Kriege und die darunter leiden, dass der Vater oder die Mutter, dass ein Kind, ein Verwandter, eine Freundin oder ein Freund  - dass sie nie mehr kommen werden.
Das blutige Schauspiel, liebe Schwestern und Brüder, das will auf unserem Erdball kein Ende nehmen und oft genug tragen die westlichen Länder durch Waffenexporte dazu bei. Wie viele sehnen sich nach Frieden, nach einem normalen Leben und stehen doch immer wieder im Karfreitag unserer Zeit.
Vergessen wir sie nicht, die heute bluten, die heute weinen, die heute unter den Wunden ihres Leibes und ihrer Seelen leiden – ob sie in Ägypten leben oder in Syrien, in Afrika oder hier in Europa oder in Australien und Amerika. Sie alle – sie alle sind Geschöpfe Gottes, sie alle haben denselben göttlichen Ursprung.
Auch wir – auch wir mit unseren eigenen Wunden, mit all dem, was unser Leben verdunkelt, mit all dem, was nicht gelungen ist im Leben und uns bis heute belastet – all das dürfen wir heute mit Christus in Verbindung bringen, wenn wir vor IHM in die Knie gehen. Auch unsere Lebenswunden finden ihren Platz im gekreuzigten Herrn.
Heiner Wilmer, ein Priester und Ordensmann unserer Tage, schreibt in seinem Buch „Gott ist nicht nett“ unter der Überschrift „In deinen Wunden berge mich: „Ich stelle mir die Wunden Gottes als Ort vor, in dem ich nichts mehr leisten muss. Ich muss nicht einmal sagen, was mir weh tut. Worunter ich leide. Ich habe für so viele Wunden gar keinen Namen, und ich weiß, dass die Welt mir nicht helfen kann, einen zu finden. Ich glaube, das geht nur in der Geborgenheit, in dem Ort, den die Welt nicht mehr zerstören kann, in den Wunden Gottes. …
Wenn ich die Augen schließe, beginnt dieser Ort vielleicht schon. Während ich es noch ausspreche, bin ich vielleicht schon aufgenommen darin: In deinen Wunden berge mich.“
Liebe Schwestern und Brüder, Jesus Christus steht uns heute auch als der Verwundete vor Augen, als der, der sich für uns hat verwunden lassen.
Wenn wir heute zu ihm kommen und vor dem Kreuz die Knie beugen, dann dürfen wir uns mit unseren Wunden in seine Wunden legen, dürfen bitten und danken, dürfen rufen und flehen für uns und alle Menschen und uns gewiss sein: Heiland, in deinen Wunden darf ich mich bergen, in deinen Wunden darf ich mich aufgehoben fühlen.
In diesem Glauben lasst uns sprechen: In deinen Wunden berge mich. Amen.

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