Predigt zum 19. Sonntag im Jahreskreis – Eph 4,30 – 5,2
Liebe Schwestern und Brüder,
wir gebrauchen ihn täglich und er ist recht nützlich. Und ich vermute, wir alle haben ihn auch heute Morgen schon benutzt – ich meine den Spiegel. Wenn wir das Haus verlassen, dann schauen wir meist noch einmal kurz in den Spiegel, ob wir auch guten Gewissens so unter die Leute gehen können. Der Spiegel ist ein Gebrauchsgegenstand, den wir wie selbstverständlich nutzen. Das ist zweifellos die hilfreiche Seite des Spiegels. Der Spiegel ist aber nicht nur hilfreich, er ist – wenn ich das einmal so sagen darf - auch ehrlich. Oder anders formuliert: Er hilft uns, die eigene Wirklichkeit anzunehmen. Er hilft uns, der Tatsache ins Auge zu schauen, dass ich mich verändere, ja er führt uns die Vergänglichkeit vor Augen. Damit gilt es zu leben, damit gilt es umzugehen und die Wahrheit anzunehmen. Der Wahrheit des Spiegels gilt es sich immer wieder zu stellen.
Auch der Wahrheit des Spiegels, der uns vor wenigen Minuten vor Augen gehalten worden ist; nämlich durch die Worte des heiligen Paulus im Brief an die Epheser. Da ist von einer Wahrheit die Rede, die auch uns wesentlich betrifft. Eine Wahrheit, an die wir vielleicht gar nicht so oft denken, die uns selten ins Bewusstsein kommt, und doch ist sie da. Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir es uns heute wieder einmal gesagt sein: Wir tragen das Siegel des heiligen Geistes in uns. „Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist.“ So ist es uns bei der Firmung zugesprochen worden. Besiegelt mit dem Heiligen Geist. Das ist was Großes, das ist etwas Einzigartiges, was uns da widerfahren ist. Gott in uns. Gottes Feuer in uns, das brennen will. Und mit diesem Feuer Gottes in uns können wir Licht der Welt sein und so unserem Auftrag als Christen gerecht werden. Gewiss, das ist leicht gesagt, und in der 2. Lesung ist es ja auch deutlich geworden, dass es vielleicht gar nicht so einfach ist, diesem göttlichen Feuer Raum zu geben.
Paulus sieht das ganz klar. Es sieht die Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit. Die Gemeindemitglieder in Ephesus sind in Gefahr, das Siegel, das sie in sich tragen, aus dem Blick zu verlieren. Sie stehen in der Gefahr, blind zu werden für das Geschenk des Himmels und den daraus resultierenden Auftrag. Und das hat Konsequenzen: Denn wo Gott aus dem Blickfeld verschwindet, wo sein Licht ausfällt, da wird es dunkel, da wird es friedlos, da wird es kalt. Da gerät der Mensch aus dem Gleichgewicht.
Darum hält Paulus den Ephesern gnadenlos den Spiegel vor Augen. Er sagt ihnen, was los ist: Bitterkeit greift um sich. Es gibt Wut, Zorn, Geschrei und Lästerung und viel Böses. Und er macht ihnen klar: All das verbannt aus eurer Mitte! Hört auf damit. Denkt an eure Berufung. Denkt daran: Ihr seid Christen, aber was gerade bei euch passiert, das widerspricht nicht nur eurer Berufung, das widerspricht auch dem Wesen Gottes.
Darum ist es so notwendig, liebe Schwestern und Brüder, dass wir in dieser schnelllebigen Zeit, die uns so vielfältig herausfordert, die viel Energie kostet und auch Nerven, - dass wir immer wieder einmal innehalten und uns vergewissern, wie es um uns steht, wie es um unser Christsein steht und dass wir uns von Paulus den Spiegel vor Augen halten lassen und uns fragen: Gibt es in meinem Leben Bitterkeit? Wie gehe ich um mit Wut und Zorn? Bin ich in ihren Ketten gefangen? Gibt es vielleicht Momente, in denen ich aufbrause und herumschreie? Oder lästere ich über andere? – Lebe auch ich im Widerspruch zu meiner Berufung? Lebe auch ich im Widerspruch zum Wesen Gottes und bin ich erblindet für das Siegel, das ich in mir trage?
All das hinterlässt ja oft genug einen bitteren Geschmack. Wir werden dabei nicht zufrieden und unser Herz kommt nicht zur Ruhe. Darum gilt das Wort des hl. Paulus auch für uns: All das, was uns von Gott und von einander entfernt – „verbannt es aus eurer Mitte“. Ja es geht letztlich darum, dass wir umkehren, dass wir ernst machen mit unserer Berufung und das bedeutet auch Mühe.
Und das schreibt uns der heilige Paulus mit den Worten des Epheserbriefes ins Stammbuch: „Ahmt Gott nach als seine geliebten Kinder, und liebt einander, weil auch Christus uns geliebt und sich für uns hingegeben hat.“ Das ist es, worum es geht: Gott nachahmen, auch wenn das schier unmöglich ist für uns gebrechliche Menschen – aber wenigstens den Versuch wagen, dem anderen wohlwollend zu begegnen. Und wenn ich ihn nicht besonders mag - ihn leben zu lassen und dann darin zu wachsen, ihm freundlich zu begegnen und im Umgang seine Würde als Geschöpf Gottes zu ehren.
In einer Welt, die wie ein Schiff auf hoher See hin- und hergeworfen wird, wo es für so viele Menschen Not, Trauer und Angst gibt, wo Terror ganze Landstriche in Atem hält und entvölkert, wo Frauen und Männer und Kinder genötigt sind, ihre Heimat zu verlassen – in dieser Welt braucht es Menschen, die der Nacht der Verzweiflung das Licht des Glaubens entgegen halten. Das Licht des Glaubens, das Hoffnung ist und der Liebe. Dass wir dem fremden Menschen angstfrei begegnen und in ihm zuerst das Geschöpf Gottes sehen. Denn auch in ihm hat Gott beim Schöpfungsakt Fingerabdrücke hinterlassen.
Schauen wir hin und wieder in den Spiegel – in den Spiegel an der Wand und danken wir Gott, dass er uns geschaffen hat und dass er der Grund unseres Lebens ist und dass er uns eine Würde geschenkt hat, die uns niemand nehmen kann. Und schauen wir hin und wieder in den Spiegel der Heiligen Schrift, damit uns ihre Worte immer wieder ins Lot bringen und dass wir durch sie geformt und geprägt werden, dass wir liebende Menschen sind und werden, weil wir so am meisten unserer Berufung entsprechen und dem Wesen Gottes ähnlich werden. Amen.
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