Liebe Mitbrüder, Freunde und Wohltäter!

Der 09. Dezember 1961 ist für Tanzania ein geschichtsträchtiger Tag. An diesem Tag wurde das Land in die Unabhängigkeit entlassen. Die Unabhängigkeit bedeutete zugleich den Beginn einer neuen Verfassung, allerdings nicht durch den Willen des Volkes, sondern durch einen Akt des britischen Parlamentes; es war die sog. „Westminster Constitution“ mit der britischen Königin als Staatsoberhaupt. Das tanzanische Volk hatte damit nicht all zuviel zu tun. Etwas Wesentliches wurde dabei bewusst nicht miteinzogen, nämlich die „Bill of Rights“, die Menschenrechte der einzelnen Bürger. Es gab die Gewaltentrennung zwischen Parlament, Exekutive und Legislative, aber keine Rechte für die einzelnen Bürger. Der Grund dafür lag in der 40-jährigen britischen Kolonialgeschichte, in der es keinerlei Rechte der Einheimischen gegenüber dem britischen Kolonialstaat gab. Der 1. Präsident des Landes Mwalimu Nyerere sagte damals: „Wenn diese Rechte wichtig wären, hätten sie schon längst ein Teil der Gesetze sein müssen. Wir sind eine junge Nation; Wir können  keine Hindernisse errichten auf dem schwierigen Weg der Regierung im Namen der Menschenrechte: Darum können wir keine Situation gebrauchen, in der eine Regierungsentscheidung durch Gesetze überstimmt werden kann“. Nyerere hatte natürlich nichts gegen Menschenrechte, aber seine Vision basierte auf einer Regierung als starkes politisches Instrument für Entwicklung.

Bereits ein Jahr später 1962 kam es zu einer  zweiten, republikanischen Verfassung, in der der Staatspräsident alle Vollmacht besass und zugleich Regierungschef war. Dazu kam das Gesetz der Vorsorgehaft (Preventive Detention Act), mit dem der Präsident ohne Gerichtsverfahren jemanden verhaften konnte, wenn er die Staatssicherheit bedroht sah. Mit diesem Ge-setz wurden 1964 die Gewerkschaften abgeschafft und über 400 Aktivisten eingesperrt. Es war das Ende der Arbeiterrechte in Tanzania. Die heutige Verfassung erlaubt dagegen die Vertrauensfrage im Unterschied von damals. 100 Tage nach der Revolution in Zanzibar wurde  1964 die Union von Tanzania und Zanzibar geschlossen. Mit ihr wurde die dritte Verfassung ins Leben gerufen. 1965  kam es jedoch zu einer sog. Interim-Verfassung unter den Einheitsparteien TANU und ASP, die für 12 Jahre bestehen bleiben sollte. Wiederum, sowohl 1965 wie 1977 gab es im Vornherein keinerlei Debatte. Die letzte Verfassung wurde unter Zeitdruck verabschiedet und gilt mit inzwischen 19 Abänderungen bis heute. Nach 50 Jahren Unabhängigkeit und insbesondere seit der Einführung des Mehrparteiensystems 1992 wird von vielen Seiten eine neue Verfassung gefordert. Das Parlament hat ein Gesetz verabschiedet, welches den Weg für eine neue Verfassung vorbereiten sollte. Als wichtigste Neuerung gilt, dass sich die Tanzanier zum ersten Mal in  einem Referendum  für oder gegen die neue Verfassung entscheiden können.

Prof. Issa Shivji, Inhaber des Lehrstuhls „Mwalimu Nyerere“ an der Universität von Dar es Salaam unterscheidet zwei große Epochen in diesen 50 Jahren seit der Unabhängigkeit: Die ersten 25 Jahre(1961 – 1985): Epoche des Patriotismus und die folgenden 25 Jahre (1986 – 2005): Epoche des Neo-Liberalismus. Wenn man den Vater der Nation, Mwalimu Julius Nyerere als Gründungsvater des Patriotismus ansieht, so ist der ehemalige Präsident Benjamin Mkapa der Architekt des Neo-Liberalismus, auch Epoche der Globalisierung genannt.

Nach 1977 und besonders nach dem Uganda-Krieg von 1979 befanden sich Wirtschaft und Politik in einer schweren Krise, vor allem die letzten fünf Jahre Nyereres waren voller Wirren. Das größte Hindernis auf dem Weg zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes ist die totale Abhängigkeit von den Geberländern. Die Globalisierung der Weltwirtschaft hat die Lage nur noch verschlimmert. In der Regierungszeit Mkapas wurde die Marktwirtschaft eingeführt. 1998 wurde ein Gesetz verabschiedet, das ausländischen Investoren das Recht gab, Land aufzukaufen und die darauf lebenden Bauern zu enteignen. Im gleichen Jahr wurde auch das Bergbau-Gesetz verabschiedet. Damit wurde ausländischen Konzernen erlaubt, Bodenschätze abzubauen und sie mit erheblichem Gewinn auf den Weltmärkten zu verkaufen, während die Regierung und die Menschen kaum einen Pfennig davon sahen. Auch ein neues Arbeitsgesetz wurde eingeführt, das den Arbeitgebern die Möglichkeit gab, nach Belieben Leute ein- oder auszustellen. Die neu gebildeten Gewerkschaften hatten keine Rechte. Man sagt, die Wirtschaft des Landes sei in den letzten Jahrzehnten gewachsen, doch kann man das auch von der Armut sagen. Zwischen 2001 und 2007 stieg die Zahl der Menschen, die von weniger als 2 Dollar leben müssen, auf 4,5 Millionen an. Fast drei Viertel der Bevölkerung hängt von der Landwirtschaft ab. Der produzierende Bereich hat weniger als 100 000 Menschen beschäftigt. Die Investitionen haben sich zwar erhöht, aber 95 % davon gingen in den Bergbau. Schlimmer noch, diese Investitionen haben kaum mehr als 7000 Arbeitsplätze geschaffen. Gleichzeitig beträgt die Anzahl der Jugendlichen, die jährlich auf den Arbeitsmarkt drängen, über 800 000.
Der Anteil der Kirchen und Orden am Aufbau des Landes ist bis auf den heutigen Tag nicht hoch genug einzuschätzen: im Schulwesen (Bau und Unterhaltung von Kindergärten, Volksschulen, Sekundarschulen, Hochschulen, Berufsschulen), im Gesundheitswesen (Errichtung von Krankenhäusern, Apotheken, Ausbildung von Ärzten und Krankenschwestern, Bohrung von Brunnen für sauberes Wasser, Vorsorge gegen Malaria und HIV), in der Landwirtschaft (Maschinen, Anbaumethoden), im Druckereigewerbe (Bücher, Zeitschriften, neue Me-dien), in der Priestererziehung und der Ausbildung von Katechisten.

 
Das größte Krebsgeschwür jedoch ist und bleibt, auch nach 50 Jahren Unabhängigkeit, die Korruption. Nach Marlene Barnard gehört Tanzania heute zu den korruptesten Staaten Ostafrikas, das Land ist auf Platz 2 des East Africa Index Reports von 2011, nur Burundi ist noch korrupter. Bei öffentlichen und privaten Institutionen ist vor allem Bestechung und Schmiergeldzahlung alltägliche Praxis. In einem Land, in dem Korruption, so tief verwurzelt ist, ist es nicht leicht, schnelle Erfolge zu erzielen, besonders, wenn Polizei, Justiz und Haftanstalten zu den bestechlichsten Einrichtungen zählen. Ein Grund dafür ist die schlechte Bezahlung vor allem kleinerer Beamter. Die Regierung hat die Anhebung der Löhne 2010 zwar versprochen, passiert ist aber bisher nichts. Unter Führung des derzeitigen Präsidenten Kikwete hat sich die Regierung verpflichtet, im ganzen Land die Korruption zu bekämpfen und ein eigenes Antikorruptions Büro unter Leitung von Dr. Edward Hoseah geschaffen. Das Kabinett wurde umgebildet, verjüngt und die Zahl der Minister von 61 auf 47 reduziert. Nach einem bereits 2005 verabschiedeten Public Leaders Code of Ethics müssen alle Abgeordneten jährlich ihre Vermögensverhältnisse offen legen, ansonsten verlieren sie ihren Sitz im Parlament. Momentan werden das Vermögen und die Verbindlichkeiten von 81 Führungspersönlichkeiten überprüft.  
Fazit: Trotz eines gewissen Stolzes auf die eigene Kultur herrscht auch in Tanzania der große Wunsch nach einem Lebensstandard wie in Europa. Vielen Tanzaniern ist bewusst, dass das nur mit Ausbildung, mit Lernen eines Berufes, mit Fleiß und Disziplin möglich ist. Diese lernbegierigen und fleißigen jungen Leute sind die große Hoffnung des Landes. In Tanzania haben sich seit wenigen Jahren die Lebensumstände dramatisch verändert, etwa die rasante Ausbreitung der Handy-Nutzung, die Verstädterung oder das starke Bevölkerungswachstum. Sechs strukturelle Herausforderungen werden sich wohl in Zukunft der Regierung stellen: Zugang zu einer bezahlbaren Stromversorgung, flächendeckende Trinkwasserversorgung, leistungsfähige Bildung und Ausbildungsangebote, eine menschenwürdige Gesundheitsfürsorge, Förderung eines privat-wirtschaftlichen Unternehmertums und eine demokratisch gewählte Vielparteien-regierung, die die Ausmerzung der Korruption auf allen Ebenen vorantreibt.


Alles Gute und Gottes Segen wünscht Ihnen von ganzem Herzen
Ihr Schweiklberger Missionsprokurator P. Stephan Raster OSB

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